“Die Menschen von heute sind längst an die Helligkeit des elektrischen Lichts gewöhnt und haben vergessen, dass es je eine solche Dunkelheit gegeben hat. Insbesondere jene „sichtbare Dunkelheit” der Innenräume hatte, so scheint mir, etwas Glitzerndes, Flimmerndes an sich, erzeugte leichte Halluzinationen und wirkte in gewissen Fällen unheimlicher als das Dunkel im Freien. Kobolde und Geistererscheinungen traten wohl vorzugsweise aus dieser Art Dunkelheit hervor; und die Frauen, die darin wohnten, hinter tiefen Vorhängen versteckt und mehrfach von Stellschirmen und Schiebetüren umgeben, gehörten sie letzten Endes nicht auch zur Sippe der Phantome?

Dunkelheit umhüllte diese Frauen sicherlich zehnfach, zwanzigfach und füllte sämtliche Spalten und Öffnungen an ihren Kleidern, am Kragen, an den Ärmeln, am Kleidersaum und wo auch immer. Je nachdem mochte es sich sogar umgekehrt verhalten:

Aus ihrem Körper, aus ihrem Mund mit den geschwärzten Zähnen, aus den Spitzen ihrer schwarzen Haare ließen sie Dunkelheit ausströmen, so wie die Erdspinne ihre Fäden ausspeit.”

Tanizaki Jun’ichirò

Meine Abschlusskollektion „,the cocoon” setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich innere Konflikte und Gefühle nach außen visualisieren würden.

Wie kann man Seelenzustände optisch darstellen? Durch die Verarbeitung experimenteller Materialien wie Gießharz, Plastik, Beton und Metall bekommen die Kleidungsstücke einen skulpturalen Aspekt, der sich durch drei Phasen hindurch steigert. Die erste Phase besteht aus tragbaren und kommerzielleren Teilen, die zweite Phase bildet in Bindeglied und eine Art Übergang, somit beginnt der Prozess des Loslösens aus dem sozialen Kontext, die dritte Phase zeigt die völlige Isolation und ist teilweise untragbar. Diese Phasen dienen sowohl einer Erklärung als auch der Darstellung eines abrutschenden Prozesses eines Individuums. Ein Kokon stellt einen in sich geschlossenen Raum dar. Der Grundgedanke von Entfremdung wird durch ihn symbolisiert, die Formsprache der Silhouette ist stark an ihn angelehnt.

Anders als ein echter Kokon ist er hier nicht als positives Zeichnen der Verwandlung sondern als Form der kompletten Verpuppung zu sehen. Die Realität ist unbedeutend und wird nur von eigenen Emotionen bestimmt. Wie würde sich dieser innere Echoraum nach außen formen oder zeigen? 

Die Wahl der Stoffe und Farben drückt durch fahle Töne Beklemmung und in Kombination mit einer Mischung von angenehmen Materialien wie Baumwolle und Mesh-Stoffen im Kontrast zu unangenehmen Werkstoffen wie Plastik, Metall oder Kunstharz die innere Uneinigkeit aus. Ein weiterer Gestaltungsansatz stellt die Verwendung von Körperabdrücken in Form von Farbe dar. In Kombination mit Transparenzen zeigen diese einen inneren Raum und Konflikt. Die übergroßen teilweise körperverformend oder einschränkenden Schnitte zeigen die Hilflosigkeit und das Bedürfnis nach Schutz auf.

Über die Kollektionsphasen hinweg nimmt diese Abstraktion zu. Die Verwendung von klassischen Anzugsschnitten und Street-wear in Verbindung mit nichttragbaren Materialien stellen die zentralen Konflikte dar. Dieses Paradoxon des Inneren wird so nach außen getragen.

Helena Katzwinkel

THE COCOON

with NHU, LOLA & MATTIS

fashion & concept by HELENA KATZWINKEL

2021